Die (nicht)angenommene Einladung

Die (nicht)angenommene Einladung

18.10.2016

Pater Dr. Ivan Dugandžic, OFM

 

Medjugorje als Herausforderung

Fünfunddreißig Jahre sind etwa die Hälfte des menschlichen Lebens. Sie genügen, um über das Leben von jemandem eine ernsthafte und objektive Beurteilung zu machen: War sein Leben erfolgreich oder nicht? Welche Früchte hat es gebracht? Das gilt auch von Medjugorje, das heuer 35 Jahre seines Bestehens vollendet. Eine so lange Zeit der Gegenwart der Gospa, begleitet von ihrem wiederholten und unnachgiebigen Ruf nach Versöhnung, Bekehrung, Gebet, Fasten und Wachstum in der Heiligkeit des Lebens, ist eine große Herausforderung für jeden Einzelnen, für die Kirche und für die Welt. Daher wurde es schon vor langer Zeit zu einem weltweiten Phänomen.

Und so wie einst die Zeitgenossen Jesu geteilt waren in Bezug auf seine Person und seine Lehre, so ähnlich ist es auch mit Medjugorje. In diesen 35 Jahren wurden unzählige Gründe für, aber auch gegen die Echtheit der Erscheinungen der Gospa ausgesprochen. Es wurden unzählige Artikel und Bücher geschrieben, in denen die eine Seite die andere von der Richtigkeit ihrer eigenen Haltung überzeugen will. In diesem manchmal sehr ohrenbetäubenden Lärm ist es nicht immer einfach, die Stimme der authentischen Zeugen zu hören, die in Medjugorje die Erfahrung der Gegenwart Gottes erlebt haben, und die begonnen haben, ihr Leben zu ändern. Wenn sie auch vielleicht einen Platz in den Medien gefunden haben, die in der Mehrzahl dem Übernatürlichem nicht zugeneigt sind, versucht man sie gleichzeitig zur Seite zu schieben durch die Betonung der negativen Randerscheinungen, die mit den Sehern, mit den Franziskanern, die in Medjugorje arbeiten, oder mit den Pfarrangehörigen verbunden sind. Trotz allem oder gerade deswegen lebt Medjugorje, und es stellt eine immer wachsende Herausforderung dar.

Dieser fünfunddreißigste Jahrestag könnte ein Anlass sein, sich mit der Herausforderung von Medjugorje zu konfrontieren. Es ist im Geist des Evangeliums, dass wir den Anderen und Andersartigen achten und lieben, und uns selbstkritisch uns selber zuwenden. Wenn ich ein Befürworter der Echtheit der Erscheinungen der Gospa und ihrer Botschaften bin, dann muss ich mich immer von neuem fragen, warum ich an die  Echtheit glaube und was das für mein Leben bedeutet? Bemühe ich mich aufrichtig, ein authentisches Zeugnis der Versöhnung, der Umkehr, des Gebetes, des Fastens und des Wachstums im geistlichen Leben zu geben? Habe ich ein evangeliumsmäßiges Verständnis und Liebe für diejenigen, die nicht so denken? Wenn ich ein Kritiker der Echtheit bin, welches sind meine Gründe dafür? Wenn ich denke, dass ich treffliche Gründe habe, die Gospa und ihre Botschaften nicht anzunehmen, gibt mir das nicht das Recht, andere zu verurteilen, die ihre Gründe haben, sie anzunehmen; und ich habe schon gar nicht das Recht, sie zu beschmutzen oder sogar schlecht zu machen.

 

Medjugorje und die Zeichen der Zeit

Ausgehend von der Hauptbotschaft der Muttergottes, der Einladung zum Frieden und zur Versöhnung, behaupteten die Kritiker von Medjugorje in den  ersten Jahren der Erscheinungen, dass sie es nicht so sehen, dass der Weltfriede ernsthaft bedroht ist und dass sich die Friedenspolitik der Weltführer dafür ausreichend verbürgt, die Erhaltung des Friedens zu gewährleisten. Aber es dauerte nicht lange, da zeigte es sich, dass sie sich irrten. Der blutige Krieg im ehemaligen Jugoslawien war nur ein Vorspiel zu größeren und blutigeren Kriegen auf der ganzen Welt. Und diejenigen, die einen gerechten Frieden garantieren sollten, können sich in den meisten Fällen nicht darüber einigen, wer für den Ausbruch des Krieges verantwortlich ist, wer der Angreifer und wer das Opfer ist, weil sie nicht von der Wahrheit und von der Gerechtigkeit geleitet sind, sondern vielmehr von zweifelhaften Interessen. Deshalb haben die unterzeichneten Friedensabkommen keine Aussicht darauf, dass sie eingehalten werden, und jeder Waffenstillstand ist nur eine Umgruppierung, um den Krieg fortzusetzen. Auch heute erweist sich die bittere Erfahrung des Propheten Jesaja als wahr: „Die Ruchlosen finden keinen Frieden.“ (Jesaja 48,22) Warum? „Den Weg des Friedens kennen sie nicht, auf ihren Spuren gibt es kein Recht… Darum bleibt das Recht von uns fern, die Gerechtigkeit erreicht uns nicht.“  (Jes 59,8 f).

Die Bedrohung des Friedens in der Welt müsste ein besonderes Zeichen und eine Herausforderung für die Kirche sein, der es Jesus zugedacht hat, Wächterin und Künderin des „Evangeliums des Friedens“ (Eph 6,15) zu sein. Ist sie das in unserer Zeit wirklich? Es war schon in den frühen 80er Jahren des letzten Jahrhunderts offensichtlich, dass sich die Erwartungen des Zweiten Vatikanischen Konzils darin, wie die Kirche der modernen Welt das Evangelium attraktiv machen kann, nicht erfüllen werden. Warum? Weil sie die Kraft der Überzeugung, „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ (Mt 5,13 f) zu sein, verloren hat. Hans Urs von Balthasar sagt über sie mit Bedauern: „Die nachkonziliare Kirche hat ihre mystischen Eigenschaften weitgehend verloren und ist eine Kirche der ständigen Gespräche, Organisationen, Räte, Kongresse, Synoden, Kommissionen, Akademien, Parteien, Funktionen, Strukturen und Umstrukturierungen, soziologischer Experimente werden und  Statistiken geworden.“ (Klarstellungen, S. 70). Mit anderen Worten, sie beschäftigt sich zu viel mit sich selbst, sodass sie ihre Sendung in der Welt nicht verwirklichen kann.

Die Antwort der Gospa auf die Zeichen der Zeit

In einer solchen Kirche erscheint die Gospa als eine, mit der das Schicksal der Kirche untrennbar verbunden ist (vgl. Joh 19,25-27). Und ihr Platz in der Kirche ist der Platz der Mutter und Beterin. Wie sie mit der kleinen Gemeinschaft der Jünger Jesu „einmütig ständig im Gebet war“, um die Ankunft des verheißenen Heiligen Geistes zu erwarten (Apg 1,12-14), so möchte sie auch heute durch ihre Gegenwart der Kirche ihre verlorengegangenen mystischen Eigenschaften wieder zurückgeben, einer Kirche, die betet, damit sie von neuem „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ sein kann für eine Welt, die immer mehr in der Dunkelheit ihrer Irrtümer versinkt.

Da sie jedes ihrer Kinder als Mutter liebt, wird die Gospa in ihrer mütterlichen Liebe nicht müde, ihren Ruf zu wiederholen und für die Kirche und die Welt zu beten, indem sie immer mehr Beter um sich versammelt. Hier haben wir auch die Antwort auf die Frage, die viele stellen:  Warum dauern die Erscheinung so lange an? Deshalb, weil die Menschen langsam sind, um die ernsthaften Zeichen der Zeit zu erkennen und die Lösungen zu akzeptieren, welche die Gospa anbietet. Jedes Gespräch mit Menschen in der Kirche endet mit ihrer Anerkennung, dass die Kirche und die Welt von heute eine tiefe geistliche Erneuerung brauchen, aber viele von ihnen sind blind für die Tatsache, dass sich diese Erneuerung in Medjugorje seit langem vollzieht. Man muss sich nur hinein begeben.

Warum den Frieden vergeblich von jenen erwarten, die rufen: „Frieden! Frieden! Aber es gibt keinen Frieden“ (Jer 6,14), und nicht auf die Stimme der Königin des Friedens zu hören und sich demjenigen zu öffnen, der gesagt hat: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ (Joh 14,27) Ausgehend von diesen Worten und aus der gesamten Erfahrung der Person Jesu und seiner Sendung, kann sich der Apostel sehr kurz ausdrücken: „Nur er ist unser Friede.“ (Eph 2,14) Wenn die heutige Welt Christus, den Friedensbringer, nicht braucht, auf welchen Frieden kann sie dann hoffen?

Rund um Medjugorje werden die Meinungen wahrscheinlich auch weiterhin auseinandergehen und die Geister werden sich auch weiterhin teilen. Einige werden es bewundern, andere werden es in Frage stellen. Ohne dem endgültigen Urteil der Kirche vorgreifen zu wollen, bin ich überzeugt davon, dass diejenigen, die in Medjugorje den stärksten spirituellen Brennpunkt der Kirche sehen, der Wahrheit näher sind als diejenigen, für die Medjugorje das größte Problem in der heutigen Kirche darstellt. Solange die Kirche auf all ihren Ebenen die Botschaft des Evangeliums von der Versöhnung und Buße nicht ernst nimmt, und sich dessen nicht bewusst ist, dass es der einzige Weg ist, um der Rettung der Welt zu dienen kann, wird Medjugorje ein unangenehmer Dorn in ihrem Fleisch (vgl. 2 Kor 12,7) sein.

Gerne können Sie diesen Beitrag in folgenden sozialen Netzwerken teilen:

Send this to a friend